Das ist mein Versprechen (in German)

By Fashion Revolution

9 years ago

Mein Name ist Arifa Sultana Anny. Ich bin 19 Jahre alt. 2 Jahre und sechs Monate lang habe ich in der Textilindustrie gearbeitet. Vor einem Monat verlor ich meinen Job, weil ich den Mund zu weit aufmachte.

Ich arbeitete sechs Tage die Woche in der Fabrik. Jeden Tag von acht in der Früh bis um fünf am Abend. An den meisten Tagen machte ich dazu noch Überstunden von fünf bis zehn am Abend. Dann war ich 14 Stunden in der Fabrik. Manchmal musste ich auch am Freitag arbeiten, also hatte ich keinen freien Tag in der Woche.

Ich stand jeden Tag um sechs Uhr morgens auf, bereitete mich vor und machte die täglichen Erledigungen. Ich musste kochen und das Haus in Stand halten. Um zwanzig vor acht ging ich zur Fabrik.

In der Fabrik war es eine Tortur. Es gab fünf Stockwerke und pro Stockwerk nur zwei Toiletten und die waren nicht einmal sauber. 400-500 Leute arbeiteten in der Fabrik. Es gab keinen Doktor, keine Kantine und keinen Gebetsraum. Wir stellten Kleidung für ZeroXposur (eine amerikanische Outdoormarke), Li and Fung (Supply Chain Manager aus Hong Kong, mit Kunden in Europa: Recherche folgt) und Dungafree her. Ich war in der Jacken-Produktion und mein Job war „Checker“. Nachdem die Jacken fertig genäht waren, war es meine Aufgabe, sie auf Fehler zu kontrollieren. Wenn ich einen Fehler fand, ging ich zu der Person, die diesen Arbeitsschritt gemacht hatte, damit sie den Fehler korrigierte. Für diesen Job bekam ich weniger Geld als die NäherInnen.

Ich wurde ständig unter Druck gesetzt

Wenn ich einen Fehler übersah und die VorarbeiterInnen fanden es heraus, sagten sie mir, dass ich meinen Job nicht gut mache. Wenn die VorarbeiterInnen einen Fehler fanden, ließen sie mich leiden. Sie strichen mir Stunden von meiner Anwesenheitsliste, für die ich dann nicht bezahlt wurde, obwohl ich gearbeitet hatte.

Eines Tages hörte ich von der National Garment Workers Federation (NGWF). Durch diese Föderation erfuhr ich von den Gewerkschaften. Also wollte ich eine Gewerkschaft in meiner Fabrik gründen. Dafür braucht man die Unterstützung von 30 Prozent der ArbeiterInnen.

Als ich das Thema zum ersten Mal ansprach und den KollegInnen erzählte, dass ich eine Gewerkschaft gründen wolle, hatten sie zuerst Angst vor Drohungen des Managers und Angst ihren Job zu verlieren. Ich arbeitete jeden Tag. Ich sprach die anderen ArbeiterInnen während der Mittagspause, nach der Arbeit und in ihren Häusern an. Und manchmal sagten die ArbeiterInnen: „Nein“. Ich erzählte ihnen wieder und wieder von der Gewerkschaft und ein „Nein“ wurde oft zu einem „Ja“.

Als die Fabrikbesitzer davon hörten, dass ich der NGWF beigetreten war und meine eigene Gewerkschaft starten wollte, begannen sie mich psychisch unter Druck zu setzen. Es begann damit, dass sie mir zu viel Arbeit gaben, und mir den Lohn kürzten.

Eines Tages rief mich der Qualitätsmanager in sein Büro und drohte mir, dass er mich rauswerfen würde. Er sagte: „Weißt du, wie wir es machen werden? Wir werden Kleidung bringen und die Nähte anschneiden und sagen: Das ist die Qualität, die du produziert hast.“ Sie sagten auch, dass ich mit meiner Gewerkschaftsarbeit aufhören müsse und wenn nicht, dass sie mit der Peinigung und dem Druck weitermachen würden. Sie drohten mir, dass ich nicht mehr dort wohnen könne, wo ich wohnte. Sie drohten, dass sie zu meinem Vermieter gehen würden und ihm sagen würden, er solle mich aus meinem Haus rauswerfen.

Die Besitzer und die anderen höheren Angestellten waren sich noch nicht ganz sicher, ob ich wirklich eine Gewerkschaft gründen würde. Natürlich bestätigte ich ihren Verdacht nicht. Und ich stimmte auch nicht zu, damit aufzuhören. Ich hatte nämlich schon die Unterstützung von 100 Arbeitern für die Gewerkschaft. Ich brauchte nur noch fünfzig mehr, um die 30 Prozent zu erreichen.

Arifa Sultana and a former co-worker show Anna Holl Show Factory. Photo: Anna Holl
Arifa Sultana and a former co-worker Anna show the factory (image: Shamsina Zaman)

Die Fabrik in der ich gearbeitet habe, heißt Elite Garments und der Besitzer hat eine zweite Fabrik, die Excel heißt.

Eines Tages holte mich der Qualitätsmanager ins „Chamber“, den Raum der Vorarbeiter und der anderen höheren Angestellten. Er sagte mir, dass er mich in die andere Fabrik versetzen würde. Ich wollte aber nicht dorthin versetzt werden, weil ich mit der Gründung der Gewerkschaft in meiner Fabrik schon begonnen hatte. All die Arbeit wäre umsonst gewesen.

Es kam soweit, dass der Qualitätsmanager sagte, ich solle darum betteln nicht in die andere Fabrik versetzt zu werden, indem ich seine Füße halte. Drei oder vier Leute waren im gleichen Raum und genossen die Show. Vor ihren Augen hielt ich die Füße des Managers umfasst. Alle machten Fotos. Sie lachten mich aus, kritisierten mich, beschimpften mich. Die Arbeit in der Fabrik ging weiter. Niemand außerhalb des Zimmers wusste, was passiert war. Ich machte das drei Stunden lang. Danach ließen sie mich mit der Warnung gehen, die Gewerkschaft nicht zu gründen.Bis zu diesem Tag wusste sie aber immer noch nicht hundertprozentig, ob ich wirklich eine Gewerkschaft gründen würde.

Nach diesem Vorfall wusste ich natürlich, dass ich nicht die Einzige war, die in der Fabrik litt. Also konnte ich nicht aufhören. Ich hatte schon 100 Leute, die mich unterstützten. Also ging ich vor dem Manager auf die Knie, damit die Gewerkschaft Wirklichkeit werden konnte.

Warum hätte ich aufhören sollen? Ich war schon so weit gekommen.

Später bekam ich die fehlenden 50 Unterschriften. Ich hatte ein Formular, auf dem ich die Unterschriften der ArbeiterInnen sammelte. Das bekam ich von der NGWF. Als ich die 150 Unterschriften hatte, brachte ich das Formular zur NGWF und von dort ging es zur Bestätigung zum Labour Office der Regierung. Als der Qualitätsmanager davon hörte, nahmen die Feindseligkeiten zu. Es gab noch mehr Druck. Man beschimpfte mich bei der Arbeit. Und eines Tages zwangen sie mich, ein weißes Papier zu unterschreiben. So warfen sie mich aus der Fabrik. Ich war arbeitslos.

Aber das Gewerkschafts-Formular war schon eingereicht worden. Darum kamen die Leute vom Labour Office zur Kontrolle in die Fabrik. Sie wollten die Gewerkschaft bestätigen. Von den 150 Unterschriften hatte ich zehn Leute für ein Komitee ausgewählt. Von diesen zehn waren fünf schon gefeuert worden und der Rest hatte zu viel Angst, irgendetwas zu sagen. Sie sprachen nicht. Die Regierungsleute fragten den Qualitätsmanager und den Produktionsmanager, was mit den fünf anderen Arbeitern geschehen war. Sie antworteten, dass die fünf auf eigenen Wunsch gegangen waren. Und die Regierungsleute glaubten ihnen. Sie wusste genau von der NGWF, dass die Arbeiter gefeuert worden waren, aber sie glaubten den Managern. Also wurde die Gewerkschaft bei dieser Kontrolle abgelehnt. Ich glaube, die Leute vom Labour Office unterstützten eher die Fabrikbesitzer als die Gewerkschaften. Man weiß es nicht. Vielleicht wurden sie bestochen?

Jetzt gibt es keine Gewerkschaft in der „Elite Garments“-Fabrik, weil ich dort nicht mehr arbeite. Das alles passierte vor einem Monat. Für den letzten Monat bekam ich keinen Lohn.

Ich hatte in der Textilindustrie zu arbeiten begonnen, weil mein Vater krank wurde. Damals ging ich in die 10. Klasse, zwei Jahre vor dem Abschluss. Er war sehr krank. Also war es an der Zeit für mich, einen Job zu finden. Ohne Abschluss bekam ich keinen guten Job. Ein Nachbar erzählte mir von der Textilfabrik in der Gegend. Also bewarb ich mich dort und bekam den Job. Es war angenehm für mich. Einen besseren Job fand ich nicht.

Als ich arbeitete, verdiente ich 6600 Taka (75€) pro Monat ohne Überstunden und 1500-2000 (ca.22€) für die Überstunden. Ich wohne bei meinen Eltern mit drei Geschwistern. Wir wohnen gemeinsam in diesem Zimmer in Kilga in Dhaka. Wir kochen auf den Gaskochern von den zwei Security Guards, die das Gebäude dort vorne auf der Straße bewachen. Wir teilen die Toilette mit fünf anderen Familien.

Meine drei Schwestern gehen in die Schule. Vorher konnte ich ihre Schulgebühren mit meinem Gehalt zahlen. Das waren pro Monat 2000 Taka. Dieses Zimmer kostet uns 3000 Taka im Monat. Meine Mutter arbeitet als Haushaltshilfe und verdient damit 3500 Taka. Mein Vater kann nicht arbeiten, weil er krank ist. Aber auch als ich noch Arbeit hatte, reichte der Lohn nicht aus, weil ich das ganze Geld für unser Essen, die Miete und die Schulgebühren ausgeben musste. Wenn jemand krank wurde, mussten wir einen Kredit aufnehmen. Es war nie genug.

Arifas father welcomes Anna Holl in Their small house. (Image: Shamsina Zaman)
Arifas father welcomes Anna in their small house. (Image: Shamsina Zaman)

 

Meine Mutter ist die einzige, die jetzt Geld verdient. Nachdem ich meinen Job verloren habe, haben wir einen Kredit von 15.000 Taka aufgenommen. In einem halben Jahr muss ich fast 20.000 Taka zurückzahlen.

Die Fabrikbesitzer werden reicher und reicher, aber mit meinem Lohn kam ich nirgendwo hin. Wenn das Gehalt für die Arbeit in der Textilfabrik 15.000 Taka wäre, wenn die Leute diesen Lohn bezahlen könnten, dann könnte ich in Ruhe und befreit leben und wäre nicht immer unter Zeitdruck, um alles zu zahlen.

 

Arifa Sultana and her little sister. (Image: Shamsina Zaman)
Arifa Sultana and her little sister. (Image: Shamsina Zaman)

Ich will nicht mehr in einer Fabrik arbeiten. Ich versuche einen anderen Job zu finden. Wenn das nicht klappt, muss ich doch wieder in einer Fabrik anfangen. Und dann werde ich trotzdem nicht leise sein. Ich muss wieder protestieren. Ich bin so. Als ich von der Gewerkschaft NGWF erfuhr, war ich es, die ihnen Fragen stellte. Es gibt zwei Arten von Menschen: diejenigen, die Korruption sehen und akzeptieren und die anderen, die sie nicht mögen und bekämpfen. Ich gehöre zu Letzteren.

Zuallererst bin ich stolz darauf, Kleidung zu machen, die Menschen überall auf der Welt und im Westen tragen können. Es macht mich stolz, dass entwickelte Länder unsere Kleidung kaufen. Ich bin stolz, dass Du sie trägst.

Gleichzeitig frage ich mich aber auch, warum die westlichen Länder uns keinen anständigen Lohn für unsere Arbeit bezahlen. Warum sie uns nicht unterstützen? Ich will, dass die Zwischenhändler den Fabriken mehr für unsere Kleidung zahlen, damit die Fabrikbesitzer uns ArbeiterInnen besser bezahlen können.

Für Bangladesch ist die Textilindustrie sehr wichtig und mit dieser Industrie können wir  die Lage unseres Landes verbessern. Dafür brauchen wir die Hilfe der ausländischen Leute, die unsere Kleidung kaufen. Ich verspreche im Gegenzug, die Kleidung so gut wie möglich zu machen.

Das ist mein Versprechen.

To read the English translation: please see This Is My Promise

You can follow Anna Holl’s Travels to Discover #whomademyclothes on our blog and on Twitterhollanna   Anna is reporting in Bangladesh for N21 who  have a focus on textile for the next 4 weeks.   Http://n21.press/schlagwort/textil/ 

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